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Die Versöhnung ist ein Prozess, der an ursprüngliche Freundschaft und harmonische Beziehungen zwischen den Menschen wieder anknüpft. Diese ursprüngliche Nähe und das zwischenmenschliche Miteinander wurden durch ein Missverständnis verletzt und die Kluft der gegenseitigen Entfremdung durch gegenseitig angetanes Unrecht und Verletzungen noch weiter vertieft. Oder kann es sich um eine gänzlich neue Beziehung der Freudschaft und der Zusammenarbeit handeln, die nie zuvor möglich war und nicht existierte, weil die Beziehung der Menschen von Anfang an
von Feindschaft geprägt war bzw. jeder schon immer auf der gegenüberliegenden Seite stand. Das Wunder der tiefsten und wahren Versöhnung zwischen den Menschen ist das Ziel und der Horizont des Weges, auf dem wir versuchen, die schweren Steine unserer Missverständnisse, von Entfremdung und Feindschaft zu überwinden. Jeder Schritt in diese Richtung hat einen unermesslichen Wert.
Für den 600. Todestag von Meister Jan Hus im Jahr 2015 war gerade die Bemühung charakteristisch, diesen Weg hin zur Versöhnung zu suchen. Das gesamte Jubiläumsjahr verlief nicht in kontroverser Stimmung, wie in alter, aber auch neuerer Vergangenheit. Die singuläre Gestalt des böhmischen Reformators spaltete damals spürbar die christlichen Kirchen, die europäischen Nationen sowie auch Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Hus´ Jubiläum im Jahr 2015 wird sich unauslöschlich in unser Gedächtnis als ein Jahr einprägen, in dem in Rom, in Prag und an anderen Orten Gottesdienste der Versöhnung zwischen Christen stattgefunden haben.
Das Projekt „Meister Jan Hus – der Weg zur Versöhnung“, das von den Schülern der Steinmetzund Bildhauer-Berufsfachschule in Hořice (Horschitz) realisiert wurde, ist davon dauerhaftes, sichtbares Zeugnis und zugleich ein Beleg dieser
Wesensart von Hus´ Jubiläum.
Das Projekt zeigte, wie inspirierend Hus´ Persönlichkeit für die jungen Künstler ist. Die Schwierigkeit des Themas hat mehrere Gründe. Zuerst war es notwendig, den oberflächlichen Blick auf diese Persönlichkeit der tschechischen Geschichte zu überwinden, die manchmal gar bewusst verzerrt wurde. Zugleich war es sehr wichtig in die geistliche Mitte von Hus´ Persönlichkeit einzudringen und gleichzeitig einen Blick zu werfen in seine dramatische Lebensgeschichte imbreitesten Kontext der religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Eine wertvolle Hilfe leisteten dazu die Motivationsvorträge und Gespräche mit Prof. Petr Piťha, Prof. Zdeněk Kučera und vielen anderen. Die künstlerische Verarbeitung durch die Schüler konzentrierte sich vor allem auf die Arbeit mit den Symbolen, die mit Hus´ Geschichte verbunden sind, mit seiner Persönlichkeit und mit seinen geistlichen Werten. Dazu gehört die Bibel, aus der Hus´ Denken, seine Botschaft und seine Entscheidungen hervorgingen. Der Kelch als Bestandteil des Herrenmahls und des christlichen Gottesdienstes verweist auf Hus´ Priestertum und auch auf die Forderung der hussitischen Reformation nach dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt – Brot und Kelch in brüderlicher Gemeinschaft der Laien mit den Priestern. Zu den anderen Symbolen, die die jungen Künstler darstellten, gehören ein Tor, eine Säule oder die Feuerflammen. Die Flammen bedeuten Hus´ Verurteilung, aber auch seinen Eifer aus dem Geist und die Liebesglut.

Im Jahr 2015 wurden die Skulpturen in Husinec enthüllt – nach der Überlieferung dem Geburtsort von Jan Hus – aber auch in Konstanz und an anderen Orten. Die Werke der jungen Künstler
von der Berufsfachschule in Hořice stellen eine aktuelle, individuelle Anknüpfung an die tschechische Kunstgeschichte dar. Hus´ Gedenksteine und Skulpturen gehörten noch am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert zum tschechischen Landschaftsbild.
Die Skulptur des brennenden Kelchs, die in Konstanz enthüllt wurde, wirkt besonders monumental. Sie wurde in einer belebten Straße in der deutschen Stadt Konstanz aufgerichtet, welche am Ufer des Bodensees liegt. Die Skulptur befindet sich auf dem Weg, den Hus´ in seinen letzten Augenblicken durchschreiten musste, um sein irdisches Leben als Märtyrer der Wahrheit
Christi und mit dem Gebet für seine Feinde zu vollenden. Die Skulptur stellt den Weg zur Versöhnung dar – nicht nur zwischen den Kirchen, sondern auch zwischen den Nationen, denn das
Konzil von Konstanz war ein europäisches Ereignis und gleichzeitig Versammlung von Menschen aus vielen Nationen. Zudem trägt die Konstanzer monumentale Steinskulptur zusammen mit Hus´ Namen auch den Namen von Hieronymus
von Prag. Dieser ist mit Hus wesentlich verbunden durch seine Freundschaft, den gemeinsamen geistlichen Kampf und ihrem tragischen Schicksal. Später im Utraquismus und der Reformation wurde diesen beiden Konstanzer Märtyrern die
gemeinsame Ehre erwiesen. Ein großer Dank gehört den jungen Künstlern, die sich aktiv an diesem Projekt beteiligt haben, aber
auch ihren Lehrern, Förderern und denen, die die Schirmherrschaft übernommen haben, allen voran Ing. Josef Moravec, dessen unermüdliche Initiative nun ihre Früchte brachte. Dank der Werke der jungen Künstler wurde dauerhaft in Stein gemeißelt, was sich im Jubiläumsjahr vom Hussens´ Erbe für unsere komplizierte
Zeit als wesentlich erwiesen hat. Die Skulpturen sind der künstlerische Ausdruck der Sehnsucht nach spiritueller Einsicht und tieferen Lebenswahrheiten, und vor allem auch Ausdruck der
Sehnsucht nach Versöhnung, Freundschaft und menschlichem Miteinander.


April 2016

Tomáš Butta
Patriarch der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche

pdfMeister_Jan_Hus_Ehre.pdf